Totalverlust der SY Susi

Auf der Internetseite von Harald Hübner, die jetzt leider nicht mehr Online ist, habe ich folgenden Bericht über den Totalverlust der Segelyacht Susi gelesen.

Die Erlaubnis von Harald Hübner vorausgesetzt möchte ich den Bericht an dieser Stelle veröffentlichen:

Seemannschaft, Skipperentscheidung - Totalverlust

Der Totalverlust der SY Susi Schutz in der Bucht? - Besserer Schutz auf hoher See!

Im Sommer 1994 strandete die Segelyacht Susi in der idyllischen und scheinbar sicheren Bucht in der Nähe von Marmaris an der Türkischen Küste.

Die Chartercrew hatte diese Bucht aufgesucht, um abends in dem weithin bekannten kleinen Restaurant zu speisen und die Sicherheit der Bucht für die Nachtruhe zu nutzen. Am späten Nachmittag wurde die Bucht durch das ca. 190 Meter breite Felsentor angesteuert und die Yacht, eine 44 Fuß lange Sloop mit einem modernen Stummelkiel mit Ballastbombe, wurde mit dem Buganker und zwei Landfesten mit dem Heck zu dem felsigen Ufer hin vertäut. Zur Sicherheit gegen seitliches Herumschlagen des Bugs wurde der zweite Anker (ein Stockanker) an Bb-Seite mit einer Leine unter Zuhilfenahme des Schlauchbootes ausgebracht.

Gegen Abend bemerkte Skipper Senkblei, daß der Wind zugenommen hatte und daß es auch eine erhebliche Winddrehung gegeben hatte. Nun kam der Wind nicht mehr von den Bergen, sondern er blies genau durch das Felsentor auf die Yacht zu. Der Bug der Yacht zeigte nicht genau auf die Zufahrt, so daß der Wind eine recht große Angriffsfläche hatte. Der Hauptanker hielt gut, nur der zur Sicherheit ausgebrachte Reserveanker war bei dieser Windrichtung nutzlos.
Mit dem nun weiter zunehmenden Wind baute sich vor der Bucht eine anständige Windsee auf und es stand durch das Felsentor ein ordentlicher Schwell in die Bucht genau auf die Yacht zu. Das Heck der Yacht stampfte nur wenige Meter von den drohenden Felsen entfernt und die Yacht drohte zu havarieren. Skipper Senkblei entschied, daß der Ankerplatz nicht sicher sei.

Die Crew war in einem Konflikt, wollte man doch in dem nun noch so nahen Restaurant speisen und hatte bereits alles bestellt und vor allem hatte man nicht für eine Mahlzeit an Bord eingekauft. Senkblei entschied, in dem luv-wärtigen Teil der Bucht nach einem geeigneten Ankerplatz zu suchen. So könnte man so zwar nicht mehr so bequem, aber nach einem kurzen Fußmarsch, das Restaurant mit all seinen Annehmlichkeiten nutzen. Es wurde der Stockanker eingenommen die Landfesten gelöst und der Anker gelichtet. Die ganze Besatzung war an Bord.
Unter Maschine wurde die Yacht langsam in den nördlichen Teil der Bucht gesteuert, wo bereits einige Yachten sicher vor Anker lagen. Nun schien Senkblei das Ankerfeld zu eng und außerdem war der Wind auch hier so stark, daß ein Übersetzen mit dem kleinen Dingi kaum trockenen Fußes möglich gewesen wäre. Es gab nun also aus Sicht Senkbleis zwei Alternativen:

  • hier Ankern, Ankerwache gehen und an Bord das Frühstück von Morgen verzehren,
  • auf den alten Platz zurückkehren und das bestellte Essen wahrzunehmen.

Die Entscheidung viel leicht und die Yacht wurde wieder an den selben Platz verholt, der zuvor wegen mangelnder Sicherheit verlassen worden war. Diesmal wurde der zusätzliche Anker nach Stb ausgebracht. Es wurden diesmal zur Sicherheit vier Landfeste ausgebracht und das Schiff wieder in einem Winkel von ca. 40° zum Wind und Schwell vertäut. Nun war auch schon im Restaurant aufgebackt und es wurde Zeit sich zu Wein und Gesang zu begeben. Die Yacht war ja nur wenige Meter vom Restaurant entfernt und konnte von dort gesehen werden. Am späteren Abend stellte eines der Besatzungsmitglieder fest, daß der Schwell in der Bucht so stark zugenommen hatte und die Yacht offensichtlich auch noch etwas Lose aus den Ankern geholt hatte. Sie setzte nun in den Tälern der anrollenden Dünung auf dem felsigen Grund auf.

Sofort war Wein, Weib und Gesang vergessen und ein Alarmstart wurde veranlasst, der dazu führte, daß drei der vier Landfesten einen soliden Knoten um die Propellerwelle bildeten, wodurch das Schiff manövrierunfähig war.

Der zweite Anker war mittlerweile gelichtet und musste erneut ausgebracht werden. Wegen des starken Windes und des stehenden Schwells war es jedoch nicht möglich den Anker weit genug nach Luv zu verbringen und ordentlich in den Grund zu fahren.
Die Yacht stand also nahezu quer zum Wind und setzte bei jeder größeren Welle im Tal auf, was jedes Mal zu enormen Erschütterungen führte.
Kurze Zeit später stellte die Besatzung fest, daß Wasser in das Schiff eindrang, konnte jedoch kein konkretes Leck finden.
Der Skipper ordnete an, die persönliche Habe von Bord zu bringen und baute einige der Geräte, wie Funk und GPS, aus.
Ein Teil der Besatzung machte sich daran das Schiff zu lenzen. Die ständigen Aufsetzer mit den damit verbundenen Geräuschen zermarterten jedoch sehr schnell die Nerven der „Seeleute" und man entschied sich, das Schiff nicht mehr zu betreten. Ein Mann wurde abgestellt auf den Felsen vor dem Schiff "Wache" zu gehen und der Rest der Besatzung begab sich wieder in das nahe gelegene Restaurant um dort zu übernachten.

Am Morgen stellte der erste Erwachende fest, daß das Rigg der Yacht die ständigen Erschütterungen nicht überstanden hatte und daß die Yacht etwa 30 Zentimeter tiefer lag als die Konstruktionswasserlinie. Außerdem war sie stark über den Bug vertrimmt.
Nur eine halbe Stunde später versank die „Susi" vor den Augen ihrer Besatzung über den Bug und verschwand über einen Absatz im Grund auf einer Wassertiefe von 6 Meter. Die Crew begab sich auf einem Ziegenpfad zu Fuß in Richtung Marmaris. Das persönliche Gepäck wurde auf Mauleseln mitgeführt.

Auf halber Strecke bis zur festen Straße traf man eine Delegation der Charterfirma, die bereits von anderen Seglern über Funk von dem Desaster informiert worden war. Der Skipper übergab die Schlüssel der Yacht mit Tränen in den Augen und den Worten "das ist alles, was von "Susi übriggeblieben ist! Die Yacht wurde wenige Tage später von dem Charterunternehmen einer türkischen Bergungsunternehmen und dem Sachverständigen gehoben und nach Marmaris geschleppt.
Eine Besichtigung der „Susi" und ihrer Umgebung unter Wasser ergab, daß sie mit der Ballastbombe auf einer kreisrunden Fläche mit ca. vier Meter Durchmesser, alle Felsbrocken • die eine Größe von bis zu fünfzig Zentimetern hatten • zu feinem Sand zermahlen hatte. Der Schaden wurde als Totalverlust deklariert.

In dem Sachverständigengutachten wurde das Verhalten der Schiffsführung wie folgt bewertet:

  • es war zum Zeitpunkt des ersten Festmachens durchaus verantwortbar das Schiff wie beschrieben zu legen
  • es war nach der Winddrehung richtig den Liegeplatz zu verlassen und einen geschützteren Platz aufzusuchen
  • es hätte auf' keinen Fall wieder an den gleichen bereits als unsicher erkannten Liegeplatz zurückgekehrt werden dürfen
  • der Skipper hätte u.a. folgende Alternativen gehabt:
       
    • Verankern im luv-wärtigen Teil der Bucht unter Inkaufnahme der damit verbundenen Unannehmlichkeiten
    • Auslaufen aus der Bucht und Abwettern des Stark windes vor der Küste in gebührendem Abstand zum Legerwall, dafür sofortige Einteilung von gleichstarken Wachen und „auf die Koje' der Freiwache
    • freies, langsames Fahren von Kreisen in der Bucht, wenn der Ankerplatz zu eng erschien, dafür ebenfalls sofortige Eintellung von gleichstarken Wachen und "auf die Koje" der Freiwache
  • als nun die Havarie wegen des unseemännischen Verhaltens der Crew nicht mehr abzuwenden war ist folgendes sträflich versäumt worden:
       
    • Zuhilferufen anderer Yachten
    • Auslösen eines Notfalls, sowohl über Funk (Kanal 16 mit dem Notteichen "Mayday" und auch auf den „Yachtiekanälen" 72 und 69) als auch durch Abschießen von roten Signalraketen
    • Lösen der Landfesten, um das Schiff frei schwojen zu lassen und damit den Winddruck auf das Ankergeschirr w verringern. Damit wäre außerdem der Kiel über tieferes Wasser geraten und nicht jedesmal aufgesetzt. Wie sich später herausstellte war das Leck dadurch entstanden, daß sich der Kiel in den Rumpf gedrückt hatte. Bei jedem Aufsetzen drang ein großer Schwall Wasser ein. Setzte die Yacht nicht auf, so war das Leck nahezu dicht. Also wäre sie vermutlich nicht gesunken, wenn das Aufsetzten verhindert worden wäre
    • es hätte niemals, außer bei unmittelbarer Gefährdung für die Besatzung, das Lenzen aufgegeben werden dürfen. Man hätte zum Beispiel die zum Vortrieb nicht mehr geeignete Maschine nutzen können, um mit dem Seekühlwassereiniritt das Lenzwasser anzusaugen und über Schiff-zu pumpen, Anstatt sich in dem Restaurant schlafen zu legen hätten Lenzwachen eingeteilt werden müssen.
Das Gutachten warf der Crew vor, seine persönlichen Bedürfnisse • noch weit unter einer Gefährdungsschwelle • über das Wohl und die Sicherheit der Yacht gestellt zu haben. Es wurde unterstellt, daß man mit der Sicherheit der Kaskoversicherung das eigener Wohl gegen die Selbstbeteiligung eingetauscht hatte.

Abschließend sei bemerkt, daß die Versicherung die Vorwürfe und den Verfehlungskatalog des Sachverständigen in allen Punkten angenommen hat, den Fall aber trotzdem • aus firmenpolitischen Gründen • ohne den Vorwurf der „groben Fahrlässigkeit" als Totalverlust ohne Weiteres reguliert hat und gegen den Skipper Senkblei keine Forderungen geltend gemacht wurden.

Wichtigste Lehre aus diesem Faü für den "Lord" (seemännische Ableitung von dem englischen Wort "sailor") - ist, daß die Sich~ einer Bucht häufig subjektiv überschätzt wird. Schiffe sind für das Meer gebaut und können im Allgemeinen problemlos Starkwind abwettern. Der Seemann muss stets dafür sorgen, das er genügend Wasser unterm Kiel und ausreichenden Seeraum nach Lee hat.

Buchten sind nur ein sicherer Schutz, wenn sie in alle Richtungen Deckung bieten, der Ankergrund gut ist und sie nicht überfüllt sind, lm Zweifel sind sie unbedingt zu meiden oder auch zu verlausen den sie können schnell zu Fallen werden. In Buchten ist all das, was der Seemann fürchtet, nah: flacher Grund, felsige Küste und vielleicht auch die Sirenen, die schon den seemännischen Verstand des Odysseus trügten.

Harald Hübner, Sachverständiger für die Sportschiffahrt